"Dann kriege ich ein Geschenk. [...] Diesmal ist es eine tote Schlange in einem Glas. 'Igittigitt!', sagt Oma. Aber genau das hab ich mir immer gewünscht." Luzie Libero hat das Potenzial, die nächste Kultfigur im Kinderbuchland zu werden. Zur Geschichte Das Buch von Pija Lindenbaum erzählt die Geschichte einer tiefen Freundschaft zwischen Luzie und ihrem Onkel Tommy. Die beiden machen allerhand Quatsch zusammen - doch plötzlich ist da noch Günther, Onkel Tommys neuer Freund. Luzie, die Tommy gerne für sich alleine behalten möchte, passt das gar nicht. Also muss sie sich allerhand schwierigen Gefühlen - Wut, Enttäuschung, Eifersucht - stellen und merkt am Ende: So doof ist Günther aus Waldwimmersbach ja doch nicht. Das Buch beschäftigt sich mit einem homosexuellem Paar ohne es in den Mittelpunkt zu stellen. Dadurch wird das Thema in die Geschichte eingebaut und so normalisiert. Kinder mit schwulen Familienmitgliedern können ihre Familie hier wiederfinden und für andere eröffnen sich neue Lebensweisen. Die kindgerechte und unpädagogische Erzählweise erinnert mitunter etwas an Astrid Lindgrens Erzählungen. Der Charakter Luzie Libero ist temperamentvoll und witzig. Es macht Spaß, ihrer kindlichen Logik zu folgen und es fällt schwer, den eigensinnigen Hauptcharakter nicht direkt ins Herz zu schließen. Durch den Zeichenstil gewinnt das Buch noch eine weitere Dimension, denn die Emotionen, die Luzie erlebt, finden sich wunderbar in ihren Gesichtszügen und ihrer Körperhaltung gespiegelt und bieten so viel Identifikationspotenzial.
"Dieses Buch soll dazu beitragen, dass in naher Zukunft die Mutter eines Kindergartenkindes auf die Frage, ob das Kind denn nun Mädchen oder Junge sei, wie Jills Mutter antworten kann: 'Das wissen wir noch nicht. Vielleicht ist [Jill] ja beides oder keins von beidem'" Zur Geschichte Jill ist neu im Kindergarten. Die anderen Kinder können Jill ob ihrer oder seiner Erscheinung nicht einordnen und fragen sich, ob Jill nun ein Mädchen* oder ein Junge* ist. Die Mutter antwortet: "Das wissen wir noch nicht". Im Laufe der Geschichte nutzen die Kinder verschiedene Ansätze, um Jill einzuordnen. Tims Vater hat nämlich erklärt, dass man das an den Geschlechtsorganen erkennen könnte. Jill erklärt, dass das bei ihr bzw. ihm nicht so sei. Darauf hin erklärt Almire, dass man das an der Kleidung erkennen könnte. Aber auch dieser Ansatz greift nicht. Schließlich stellen die Kinder fest, dass das Geschlecht nicht wichtig ist, Unterschiede und Vielfalt aber sehr wohl wichtig sind, da sie zum Beispiel auch einen bunten Regenbogen ausmachen. Jill ist anders ist eines der wenigen Kinderbücher, das sich mit dem Thema Intersexualität beschäftigt. Erschienen ist das Buch erst dieses Jahr. Die Autorin, Ursula Rosen, ist Gymnasiallehrerin. Illustriert wurde das Buch von Alina Isensee. Ursula Rosen erklärt, sie habe den Titel 'Jill ist anders' bewusst gewählt, da erst über die Bennenung des 'Andersseins' erkannt werde, dass Jill nicht in das gängige Schema von Geschlecht hineinpasst. Eine Integration setze ja zunächst einmal das Erkennen des 'Andersseins' voraus. Die Idee zu dem Buch kam ihr, als sie "mal wieder vergeblich versucht hatte, Verlage von Biologiebüchern für das Thema Inter* zu interessieren und - wieder einmal - nur Ablehnung erfahren hatte". In ihr Kinderbuch legt sie die gesellschafts-verändernde Hoffnung, das System der Zweigeschlechtlichkeit zu durchbrechen. Dieser revolutionäre Ansatz spiegelt sich auch in dem Mut, regelmäßig Jills Pronomen zu wechseln.
Schade ist, dass Jill sich in einem Abschnitt Sachen aus dem "Indianerzelt" nimmt. Dieser Begriff ist problematisch. Das Problem an dem Begriff ist, dass er verschiedene, heterogene Volksgruppen vereinheitlicht. In der Geschichte diente der Begriff zur Herabsetzung der indigenen Völker Nordamerikas und ist daher rassistisch. Besonders gelungen finde ich die geschlechtergerechte Sprache des Buchs. Auch die vielfältige Darstellung der Kinder ist gelungen und sehr contra-stereotyp. Leider ist das bei den Erwachsenen nicht gänzlich so gelungen (Care-Arbeit übernehmen zwei Frauen, der einzige Mann ist Lehrer). Kinder - auch intersexuelle Kinder - reagieren sehr positiv auf das Buch: "Ihnen gefällt die Figur, da sie selbstbewusst und vielleicht sogar ein bisschen frech ist. Besonders die Seite mit dem Helmastronauten finden sie gut". Der Zeichenstil ist sehr innovativ, übersichtlich und klar strukturiert. Er trägt im besonderen Maße zum Verständnis des Handlungsverlauf bei. Fazit Autorin und Verlag widmen sich hier einem Thema, an das sich bisher niemand so recht getraut hat und das auch seine Schwierigkeiten mitbringt, vorausgesetzt mensch möchte ein Kinderbuch daraus machen. Autorin und Verlag gehen sehr reflektiert, aber auch sehr kindgerecht an das Buch heran und setzen viele gelungene Ideen um. Die Sprache ist kindgerecht und ebenso die Erklärungen. Die Charaktere sind liebevoll und vielfältig gezeichnet. Das Buch ist eine durchaus gelungene Investition, vorausgesetzt mensch verzichtet beim Vorlesen auf den Begriff "Indianer", der im Buch zu finden ist. Meine Bitte an den Verlag ist, dieses Wort zum Beispiel durch eine downloadbare Einklebeseite - ähnlich wie Edition Assemblage ("Das Wort, das Bauchschmerzen macht") dies getan hat - rauszustreichen.
Schade ist, dass die Ritterin sehr schnell keine Ritterin mehr sein möchte. Sicherlich wäre es dann eine andere Geschichte gewesen, aber ebenfalls eine sehr Spannende. Jean-Luc Englebert erzählt die Ritterin aber nicht bis zum Ende durch. Schade. Gegen wen hätte sie wohl gekämpft?
Der Autor löst diese Fragen, indem er die Ritterin schmollen lässt. Daraufhin wird sie in eine Burg gesperrt, aus der sie gerettet werden soll. Der Erzähler bindet dafür erst zwei Prinzen in die Geschichte ein, dann muss er aber selber ran und seine Tochter retten (obwohl sie sich genau genommen selbst rettet). Schön ist, dass die Ritterin durchgehend Einfluss auf die Geschichte nimmt und aktiv teilnimmt. Fazit: Eine süße Geschichte, die Rollenklischees aufweicht und sich durch die reich bebilderten 32 Seiten besonders als Gute-Nacht-Geschichte eignet. Altersempfehlung: Bereits ab 4 Jahren.
Malbücher sind so eine Sache: Zwar quasi überall herzubekommen, aber meistens auch nicht wirklich durchdacht. Falls also mal die Frage nach Kinderbüchern aufkommt, die vielfältigere Menschen und Lebenswelten aufzeigen, kann inzwischen geholfen werden. Zum einen gibt es nämlich das Badass Feminist Coloring Book, das zur Zeit aber nur vorbestellt werden kann, weswegen noch unklar ist, ob das Buch wirklich für jede Altersgruppe geeignet ist. Die Macherin Ijeoma Oluo verspricht allerdings: You're never too old for coloring books & you're never too young for feminism. Get your Badass Feminist Coloring Book! Das Buch hat einen stolzen Preis von 25$, aber vielleicht lohnt es sich ja. Mein absoluter Favorit ist Fat Ladies In Spaaaaace: a body-positive coloring book. Mir gefällt allein schon der bodypositive Ansatz, das Ganze gemischt mit dem Weltall finde ich klasse! Theo Nicole Lorenz brachte auch Malbücher mit rauchenden Einhörnern und Dinos mit Jobs heraus. Ein Spaß für Kinder und auch Erwachsene. Ebenfalls im bodypositiven Bereich angesiedelt ist auch Color my Fro!, das ich bereits vorgestellt habe. Von derselben Künstlerin wurden auch Black Fairy Tales und The Colorful Adventures of Zoe & Star beziehungsweise The Colorful Adventures of Cody & Jay gezeichnet. Im Sinne feministischer Selbstbehauptung hat Marion Mebes zwei, zugegebenermaßen bereits in die Jahre gekommende, Malbücher geschaffen, nämlich Kein Küßchen auf Kommando! sowie Kein Anfassen auf Kommando!. Das ist natürlich nur eine kleine Auswahl von dem, was sein könnte: Klar ist, hier fehlen Ritterinnen, Superheldinnen, Models mit unterschiedlichen Körperformen und vor allem Menschen mit Behinderungen. Noch viel mehr ist denkbar! Nachtrag vom 24.10.2015:
"Noch viel mehr ist denkbar!" - Damit schloss ich den Artikel Anfang des Monats. Und zwei Frauen machen jetzt genau das möglich, nämlich Stephanie Tabashneck und Tanja Tadic, Autorin und Illustratorin des Malbuchs "Dream Big! More than a Princess Coloring Book". Im Buch stellen 25 Illustrationen untypische Frauenberufe vor, um Mädchen* anzuregen, diese anzustreben. Laut der Zeitschrift an.schläge (Heft VII/2015) ist ebenfalls ein Buch für Jungen* geplant! Das Buch ist für 6,41€ via amazon zu haben.
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